15. bis 17.Januar 2016
Beim Durchforsten diverser europäischer Spielpläne auf der
Suche nach einer ordentlichen Tour während der Winterpause, stolperte ich über das
Derby zwischen Avellino und Salernitana in der italienischen Serie B. Schnell
wurde nach möglichen Flügen geschaut und mit Transavia eine bezahlbare Variante von Amsterdam nach Neapel gefunden. Eine Ankunft am Freitagvormittag und Rückflug erst
am Sonntagabend ließen viel Spielraum für die noch ausstehenden Terminierungen.
Auch wenn sich für den Freitag kein Spiel in erreichbarer Nähe finden ließ, konnten mit dem Derby in Avellino, einem Heimspiel des SSC Napoli und einer
interessanten Viertligapartie bei AP Turris Calcio drei Begegnungen besucht
werden. Außerdem lockte Neapel mit all seinen schrecklich schönen Facetten.
Während in Deutschland die Temperaturen in den Keller gingen
und der Winter Einzug hielt starteten wir am frühen Freitagmorgen gegen 2 Uhr
Richtung Schiphol. Die Sorge um vereiste Autobahnen erwies sich als unbegründet
und ohne Komplikationen erreichten wir den Flughafen gegen halb sechs.
Pünktlich startete der Transavia Flug und nach
ereignislosen zwei Stunden, in denen jeder irgendwie versuchte etwas Schlaf zu bekommen, ging es an den wirklich spektakulären Landeanflug.
Der Flughafen Neapel befindet sich unweit vom Zentrum, sodass der Flieger eine
nette Runde direkt über die Dächer dieser Wahnsinnsstadt drehte.
Nach dem üblichen Chaos beim Verlassen der Maschine
erstanden wir nur wenige Minuten später unsere Tickets für den Alibus in einem
Tabakladen. Drei Euro wurden für die Fahrt bis zur Piazza Garibaldi fällig (an
Bord des Busses 4 Euro) für die je nach Verkehrsaufkommen mindestens eine
Viertelstunde eingeplant werden muss. Und der Verkehr in Napoli hat es wirklich
in sich. Bereits auf der kurzen Etappe kam es zu zwei Beinaheunfällen. Roller
fuhren mit nur drei Zentimetern Abstand am Bus vorbei, Fußgänger liefen einfach
so auf die Straße und an einem Kreuzungsbereich wurden mal eben sämtliche
Verkehrsregeln inklusive roter Ampeln missachtet. Haarsträubend was hier im
Verkehr geboten wurde.
Unfassbar genialer Landeanflug über die Dächer Neapels. |
Die Stadt empfing uns mit dem erwarteten wuseligen Chaos.
Die ersten Eindrücke sind schon etwas erschlagend und man braucht eine gewisse
Zeit bis man sich hier eingewöhnt hat.
„Der erste Eindruck
ist der eines beispiellos anarchischen Wesen, hervorgerufen durch die Masse der
Menschen, ihr Getümmel und Treiben um die Behausungen, die sich an jeder
Straßeneinmündung, beim Blick in die finsteren Seitengassen, im
undurchdringlich Verbauten verlieren. Alles scheint in regelloser Bewegung, ein
Organismus, der unaufhörlich schlingt und ausscheidet.
Auf der ganzen Strecke
herrscht ein absurdes Verkehrsgewühl…“
(Aus „Im Gegenlicht- Eine italienische Reise“ von Joachim
Fest)
Unsere Unterkunft für die nächsten zwei Nächte befand sich
in einem äußerst belebten Viertel in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof an der
Piazza Principe Umberto. Nicht grade die seriöseste Ecke, aber strategisch
absolut sinnvoll gelegen. Rund 58 Euro für ein Doppelzimmer mit Frühstück im
Best Western Plaza sind zwar sicher nicht mega günstig, aber absolut gut
investiert. Man ist ja auch nicht mehr der Jüngste und ein bisschen Komfort auf
so einer Tour kann man sich durchaus mal gönnen.
Unser Zimmer war noch nicht bezugsfertig, aber immerhin
konnten wir unser Gepäck loswerden. Anschließend liefen wir zum Bahnhof und
besorgten uns erst mal eine Handvoll Metrotickets in einem Kiosk. Anschließend
fuhren wir mit der Linea 2 (ein Metroähnlicher Zug, welcher von Trenitalia
betrieben wird) bis zur Haltestelle Campi Flegrei. Von dort gelangt man in 10
Minuten zum Stadion San Paolo. Hier wurde ausgiebig Fotografiert und im Fanshop
hinter der Tribuna Distinti Tickets für das morgige Spiel gegen Sassuolo
erstanden.
Zur Belohnung gab es einen unglaublich guten Caffé in einer kultigen Bar nebenan,
in welcher neben dem Verkauf von Gebäckteilchen, belegten
Panini und Getränken auch Lotto gespielt
werden konnte. An der Wand hingen verschiedene Fandevotionalien des SSC unter
anderem auch ein Bild der Spielerlegende Maradona, welcher hier als Heiliger
verehrt wird.
Nun wurde es aber Zeit für ein bisschen Touriprogramm und
wir fuhren mit der Linea 2 wieder zurück bis zur Stazione Montesanto. Nun
tauchten wir also endlich ein in das atemberaubende Leben der Metropole. Rund
um die Station gab es schon Einblicke in die Neapolitanische Lebensweise.
Kleine Gassen, heruntergekommene Häuser, beleuchtete Wandaltäre, Obst- und
Gemüsestände und Menschenaufläufe. Wäsche hing zum Trocknen von den rostigen
Balkongeländern, Eimer wurden an Schnüren heruntergelassen, um unten auf der
Straße mit eilig gekauftem gefüllt und von den Frauen nach oben in die
Behausung gezogen. Die vielen Details ließen uns wie im Rausch immer wieder
innehalten und auf den Auslöser der Kameras drücken. An der Piazza Montesanto erwartete
uns ein schier bezauberndes Getümmel um einige Verkaufsstände und kleinere
Geschäfte. Die Szenerie wurde stets begleitet vom Dauerlärm hupender Autos und
Roller sowie dem Geschrei der Verkäufer an den Ständen. Nur schwer lösten wir
uns schließlich von dem Schauspiel und betraten die Funicolare- Station. Die
Seilbahn brachte uns zwei Stationen den Stadhügel Vomero hinauf. Von dort aus gelangt man nach kurzem Fußmarsch zum Castel
Sant Elmo. Für 5 Euro betraten wir diese beeindruckende Festungsanlage auf
deren Ummauerung hat man nach allen Seiten einen atemberaubenden Ausblick über
die Metropole am Fuße des Vesuv. Auch wenn mittlerweile dichte Wolken
aufgezogen waren lohnte sich dieser Spot und kann wirklich jedem der nach
Neapel kommt dringend ans Herz gelegt werden.
Häusermeer Nähe Piazza Montesanto |
Piazza Montesanto |
Großartiger Ausblick über die Stadt vom Castel Sant Elmo |
Bevor das Tageslicht zu Neige ging fuhren wir mit der
Seilbahn wieder zur Piazza Montesanto herunter, um uns einmal durch die
Altstadt, und den Quartieri Spagnoli
auf der Einkaufsstraße Via Toledo bis zur Piazza Plebescito vorzukämpfen.
Auch hier tobte das pure Leben auf den Straßen und selbst in
der sogenannten Fußgängerzonen war man nicht vor heranbrausenden Rollern sicher.
Die stürmischen Fahrer waren oft noch Kinder und selbstverständlich ohne Helm
unterwegs. Trägt mal jemand einen Helm auf dem Scooter, so ist er gleich verdächtig.
Killerkommandos der Camorra tragen beispielsweise Helme, wenn sie zur Tat
schreiten. Nach dem Spiel beim SSC Napoli sollten wir noch unfreiwillig Zeuge
einer solchen Aktion werden, aber dazu an anderer Stelle mehr.
Die Quartieri Spagnoli sind ein dicht bewohntes und bebautes
eigenständiges System innerhalb der Stadt. Hauptsächlich im Quartier
verwurzelte Neapolitaner leben und arbeiten hier. Hier gibt es unübersehbare
gesellschaftliche Probleme durch Arbeitslosigkeit, Armut und Kriminalität. Man
findet dort immer wieder ebenerdige, zur Straße hin offene Einzelräume, die
sogenannten bassi. Hier leben oft ganze Familien und gleichzeitig werden die
Räume auch noch als Werkstatt genutzt. Ein Großteil des Lebens findet auf der
Straße statt. Einige verwinkelte Gassen liegen abgeschirmt vom Tageslicht im
Dunkeln. Die gesamte Zeit über waren wir angespannt und fasziniert zugleich.
Jede Szene wurde begierig aufgesaugt. Etwa das Gefeilsche am Gemüsestand, wo eine
ältere Dame leidenschaftlich den Preis für Tomaten aushandelte, die in jedem
Hauseingang und an jeder Straßenecke lungernden jungen Männer, die Kids auf den
Rollern, ältere Frauen auf den verwitterten Balkonen, die Hektik an einem
Fischstand und so weiter. Wir konnten uns gar nicht statt sehen. In jeder der
kleinen Läden, Bars und Cafes sowie Werkstätten und Hauswänden fanden wir
Kruzifixe und Abbilder der heiligen Maria. Strenger Katholizismus und
Aberglaube werden hier regelrecht zelebriert.
Irgendwann erreichten wir den Piazza del Plebescito am Königspalast. Dieser Platz gehört zu den
bekanntesten und größten in Neapel und liegt direkt zwischen Altstadt und
Uferpromenade.
Den Hafen und besagte Promenade ersparten wir uns, da es
dunkel wurde und unsere Kapazitäten schwanden. Also zurück über die
Piazza Garibaldi zu unserem Hotel und Refugium. Die Gepäckstücke waren noch da
und das Zimmer bezugsfertig. Wir hatten sogar einen kleinen Balkon zur Piazza
Principe Umberto, von welchem wir das muntere Treiben um zahlreiche Verkaufsstände
herum in aller Ruhe bei einer kalten Cola genießen konnten.
Nach einer kurzen Pause rafften wir unsere müden Körper auf und
verließen das Zimmer. Abends wirkte die Stadt noch einmal ganz anders und auch
ohne dass wir uns irgendwie bedroht fühlten hatte man stellenweise doch ein
mulmiges Gefühl in den verwinkelten und engen Gassen. Es war fast so als
latschte man den Einheimischen direkt durch das Wohnzimmer. Nach einem kurzen
Abstecher in einen der zahlreichen kleinen Supermärkte waren wir zumindest mit
Getränken gut versorgt. Das hinderte uns allerdings nicht daran in einer
kleinen Bar einzukehren. Hier gab es Peroni frisch gezapft und spannende
Menschen zu beobachten. Nach einem kleinen Scharmützel musste einem der Kunden
die Hand verbunden werden und der Kellner sich die Augen ausspülen lassen.
Einen weiteren Stopp legten wir in einer Pizzeria ein, bevor
bei mir nun endgültig der Akku leer war und das dringende Bedürfnis nach Ruhe
und Schlaf die Oberhand gewann. Zuvor
verliefen wir uns aber noch und latschten etwas orientierungslos durch vermüllten und schlecht beleuchteten Straßen. Ein absolut unseriöser Typ mit einer
übertrieben geschminkten Begleiterin erklärte uns dann freundlicherweise den
Weg zum Hotel (und das ohne Englisch zu sprechen).
Obst und Gemüse gibt es an jeder Ecke im Quartieri Spagnoli |
Quartieri Spagnoli |
Piazza del Plebescito |
Uferpromenade |
Reviermarkierung der Brigata Carolina am unteren Ende der Altstadt. |
Galleria Umberto I |
Piazza Principe Umberto zu später Stunde. |
Vermüllte Straße Nähe Piazza Garibaldi |
Typischer Wandaltar in einer Altstadtgasse. |
Streetart ist in Neapel weit verbreitet |
Markt für Schuhe und Kleidung auf der Piazza Principe Umberto |
Viel Zeit blieb uns heute jedoch nicht, denn nun stand
endlich das herbeigesehnte Derby in Avellino an.
US Avellino - US Salernitana (Link zum Spiel)
SSC Napoli - Sassuolo (Link zum Spiel)
FC Turris - ASD Gallipoli (Link zum Spiel)
Fotostrecke Torre del Greco
Insgesamt eine durchaus gelungene Tour in der viele Klischees bestätigt wurden, aber auch neue Erkenntnisse und Einblicke in die neapolitanische Lebensweise gewonnen werden konnten. Eine absolut erschreckend und faszinierende Stadt, welche einen so schnell nicht mehr loslässt.
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