Samstag, 23. Januar 2016

Neapel

Neapel
15. bis 17.Januar 2016


Beim Durchforsten diverser europäischer Spielpläne auf der Suche nach einer ordentlichen Tour während der Winterpause, stolperte ich über das Derby zwischen Avellino und Salernitana in der italienischen Serie B. Schnell wurde nach möglichen Flügen geschaut und mit Transavia eine bezahlbare Variante von Amsterdam nach Neapel gefunden. Eine Ankunft am Freitagvormittag und Rückflug erst am Sonntagabend ließen viel Spielraum für die noch ausstehenden Terminierungen. Auch wenn sich für den Freitag kein Spiel in erreichbarer Nähe finden ließ, konnten mit dem Derby in Avellino, einem Heimspiel des SSC Napoli und einer interessanten Viertligapartie bei AP Turris Calcio drei Begegnungen besucht werden. Außerdem lockte Neapel mit all seinen schrecklich schönen Facetten.
Während in Deutschland die Temperaturen in den Keller gingen und der Winter Einzug hielt starteten wir am frühen Freitagmorgen gegen 2 Uhr Richtung Schiphol. Die Sorge um vereiste Autobahnen erwies sich als unbegründet und ohne Komplikationen erreichten wir den Flughafen gegen halb sechs.
Pünktlich startete der Transavia Flug und nach ereignislosen zwei Stunden, in denen jeder irgendwie versuchte etwas Schlaf zu bekommen, ging es an den wirklich spektakulären Landeanflug. Der Flughafen Neapel befindet sich unweit vom Zentrum, sodass der Flieger eine nette Runde direkt über die Dächer dieser Wahnsinnsstadt drehte.

Nach dem üblichen Chaos beim Verlassen der Maschine erstanden wir nur wenige Minuten später unsere Tickets für den Alibus in einem Tabakladen. Drei Euro wurden für die Fahrt bis zur Piazza Garibaldi fällig (an Bord des Busses 4 Euro) für die je nach Verkehrsaufkommen mindestens eine Viertelstunde eingeplant werden muss. Und der Verkehr in Napoli hat es wirklich in sich. Bereits auf der kurzen Etappe kam es zu zwei Beinaheunfällen. Roller fuhren mit nur drei Zentimetern Abstand am Bus vorbei, Fußgänger liefen einfach so auf die Straße und an einem Kreuzungsbereich wurden mal eben sämtliche Verkehrsregeln inklusive roter Ampeln missachtet. Haarsträubend was hier im Verkehr geboten wurde. 





Unfassbar genialer Landeanflug über die Dächer Neapels.
Die Stadt empfing uns mit dem erwarteten wuseligen Chaos. Die ersten Eindrücke sind schon etwas erschlagend und man braucht eine gewisse Zeit bis man sich hier eingewöhnt hat.
„Der erste Eindruck ist der eines beispiellos anarchischen Wesen, hervorgerufen durch die Masse der Menschen, ihr Getümmel und Treiben um die Behausungen, die sich an jeder Straßeneinmündung, beim Blick in die finsteren Seitengassen, im undurchdringlich Verbauten verlieren. Alles scheint in regelloser Bewegung, ein Organismus, der unaufhörlich schlingt und ausscheidet.
Auf der ganzen Strecke herrscht ein absurdes Verkehrsgewühl…“
(Aus „Im Gegenlicht- Eine italienische Reise“ von Joachim Fest)
Unsere Unterkunft für die nächsten zwei Nächte befand sich in einem äußerst belebten Viertel in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof an der Piazza Principe Umberto. Nicht grade die seriöseste Ecke, aber strategisch absolut sinnvoll gelegen. Rund 58 Euro für ein Doppelzimmer mit Frühstück im Best Western Plaza sind zwar sicher nicht mega günstig, aber absolut gut investiert. Man ist ja auch nicht mehr der Jüngste und ein bisschen Komfort auf so einer Tour kann man sich durchaus mal gönnen.
Unser Zimmer war noch nicht bezugsfertig, aber immerhin konnten wir unser Gepäck loswerden. Anschließend liefen wir zum Bahnhof und besorgten uns erst mal eine Handvoll Metrotickets in einem Kiosk. Anschließend fuhren wir mit der Linea 2 (ein Metroähnlicher Zug, welcher von Trenitalia betrieben wird) bis zur Haltestelle Campi Flegrei. Von dort gelangt man in 10 Minuten zum Stadion San Paolo. Hier wurde ausgiebig Fotografiert und im Fanshop hinter der Tribuna Distinti Tickets für das morgige Spiel gegen Sassuolo erstanden.
Zur Belohnung gab es einen unglaublich guten Caffé in einer kultigen Bar nebenan, in welcher  neben dem Verkauf von Gebäckteilchen, belegten Panini  und Getränken auch Lotto gespielt werden konnte. An der Wand hingen verschiedene Fandevotionalien des SSC unter anderem auch ein Bild der Spielerlegende Maradona, welcher hier als Heiliger verehrt wird.
Nun wurde es aber Zeit für ein bisschen Touriprogramm und wir fuhren mit der Linea 2 wieder zurück bis zur Stazione Montesanto. Nun tauchten wir also endlich ein in das atemberaubende Leben der Metropole. Rund um die Station gab es schon Einblicke in die Neapolitanische Lebensweise. Kleine Gassen, heruntergekommene Häuser, beleuchtete Wandaltäre, Obst- und Gemüsestände und Menschenaufläufe. Wäsche hing zum Trocknen von den rostigen Balkongeländern, Eimer wurden an Schnüren heruntergelassen, um unten auf der Straße mit eilig gekauftem gefüllt und von den Frauen nach oben in die Behausung gezogen. Die vielen Details ließen uns wie im Rausch immer wieder innehalten und auf den Auslöser der Kameras drücken. An der Piazza Montesanto erwartete uns ein schier bezauberndes Getümmel um einige Verkaufsstände und kleinere Geschäfte. Die Szenerie wurde stets begleitet vom Dauerlärm hupender Autos und Roller sowie dem Geschrei der Verkäufer an den Ständen. Nur schwer lösten wir uns schließlich von dem Schauspiel und betraten die Funicolare- Station. Die Seilbahn brachte uns zwei Stationen den Stadhügel Vomero hinauf. Von dort aus gelangt man nach kurzem Fußmarsch zum Castel Sant Elmo. Für 5 Euro betraten wir diese beeindruckende Festungsanlage auf deren Ummauerung hat man nach allen Seiten einen atemberaubenden Ausblick über die Metropole am Fuße des Vesuv. Auch wenn mittlerweile dichte Wolken aufgezogen waren lohnte sich dieser Spot und kann wirklich jedem der nach Neapel kommt dringend ans Herz gelegt werden.



Häusermeer Nähe Piazza Montesanto




Piazza Montesanto





Großartiger Ausblick über die Stadt vom Castel Sant Elmo









Bevor das Tageslicht zu Neige ging fuhren wir mit der Seilbahn wieder zur Piazza Montesanto herunter, um uns einmal durch die Altstadt, und den Quartieri Spagnoli auf der Einkaufsstraße Via Toledo bis zur Piazza Plebescito vorzukämpfen.
Auch hier tobte das pure Leben auf den Straßen und selbst in der sogenannten Fußgängerzonen war man nicht vor heranbrausenden Rollern sicher. Die stürmischen Fahrer waren oft noch Kinder und selbstverständlich ohne Helm unterwegs. Trägt mal jemand einen Helm auf dem Scooter, so ist er gleich verdächtig. Killerkommandos der Camorra tragen beispielsweise Helme, wenn sie zur Tat schreiten. Nach dem Spiel beim SSC Napoli sollten wir noch unfreiwillig Zeuge einer solchen Aktion werden, aber dazu an anderer Stelle mehr.
Die Quartieri Spagnoli sind ein dicht bewohntes und bebautes eigenständiges System innerhalb der Stadt. Hauptsächlich im Quartier verwurzelte Neapolitaner leben und arbeiten hier. Hier gibt es unübersehbare gesellschaftliche Probleme durch Arbeitslosigkeit, Armut und Kriminalität. Man findet dort immer wieder ebenerdige, zur Straße hin offene Einzelräume, die sogenannten bassi. Hier leben oft ganze Familien und gleichzeitig werden die Räume auch noch als Werkstatt genutzt. Ein Großteil des Lebens findet auf der Straße statt. Einige verwinkelte Gassen liegen abgeschirmt vom Tageslicht im Dunkeln. Die gesamte Zeit über waren wir angespannt und fasziniert zugleich. Jede Szene wurde begierig aufgesaugt. Etwa das Gefeilsche am Gemüsestand, wo eine ältere Dame leidenschaftlich den Preis für Tomaten aushandelte, die in jedem Hauseingang und an jeder Straßenecke lungernden jungen Männer, die Kids auf den Rollern, ältere Frauen auf den verwitterten Balkonen, die Hektik an einem Fischstand und so weiter. Wir konnten uns gar nicht statt sehen. In jeder der kleinen Läden, Bars und Cafes sowie Werkstätten und Hauswänden fanden wir Kruzifixe und Abbilder der heiligen Maria. Strenger Katholizismus und Aberglaube werden hier regelrecht zelebriert.
Irgendwann erreichten wir den Piazza del Plebescito am Königspalast. Dieser Platz gehört zu den bekanntesten und größten in Neapel und liegt direkt zwischen Altstadt und Uferpromenade.
Den Hafen und besagte Promenade ersparten wir uns, da es dunkel wurde und unsere Kapazitäten schwanden. Also zurück über die Piazza Garibaldi zu unserem Hotel und Refugium. Die Gepäckstücke waren noch da und das Zimmer bezugsfertig. Wir hatten sogar einen kleinen Balkon zur Piazza Principe Umberto, von welchem wir das muntere Treiben um zahlreiche Verkaufsstände herum in aller Ruhe bei einer kalten Cola genießen konnten.
Nach einer kurzen Pause rafften wir unsere müden Körper auf und verließen das Zimmer. Abends wirkte die Stadt noch einmal ganz anders und auch ohne dass wir uns irgendwie bedroht fühlten hatte man stellenweise doch ein mulmiges Gefühl in den verwinkelten und engen Gassen. Es war fast so als latschte man den Einheimischen direkt durch das Wohnzimmer. Nach einem kurzen Abstecher in einen der zahlreichen kleinen Supermärkte waren wir zumindest mit Getränken gut versorgt. Das hinderte uns allerdings nicht daran in einer kleinen Bar einzukehren. Hier gab es Peroni frisch gezapft und spannende Menschen zu beobachten. Nach einem kleinen Scharmützel musste einem der Kunden die Hand verbunden werden und der Kellner sich die Augen ausspülen lassen.
Einen weiteren Stopp legten wir in einer Pizzeria ein, bevor bei mir nun endgültig der Akku leer war und das dringende Bedürfnis nach Ruhe und Schlaf die Oberhand gewann. Zuvor verliefen wir uns aber noch und latschten etwas orientierungslos durch vermüllten und schlecht beleuchteten Straßen. Ein absolut unseriöser Typ mit einer übertrieben geschminkten Begleiterin erklärte uns dann freundlicherweise den Weg zum Hotel (und das ohne Englisch zu sprechen).



Obst und Gemüse gibt es an jeder Ecke im Quartieri Spagnoli







Quartieri Spagnoli

Piazza del Plebescito


Uferpromenade
Reviermarkierung der Brigata Carolina am unteren Ende der Altstadt.


Galleria Umberto I

Piazza Principe Umberto zu später Stunde.
Vermüllte Straße Nähe Piazza Garibaldi








Typischer Wandaltar in einer Altstadtgasse.

Streetart ist in Neapel weit verbreitet








Markt für Schuhe und Kleidung auf der Piazza Principe Umberto



Das Castel Sant Elmo thront auf einem Hügel über der Stadt.

Nach einer wirklich erholsamen Nacht gab es ein, für italienische Verhältnisse, reichhaltiges Frühstück auf der Dachterrasse. Unten vorm Hotel war auf der Piazza schon wieder die Hölle los. Zwei Frauen schleppten allerhand Kerzen, Blumen und Tücher herbei um einen Wandaltar zu schmücken. Sogar eine Holzleiter wurde von irgendwo herbeigeholt, um den oberen Altarbereich mit einem Tuch zu dekorieren. Die penetranten Rufe der Markthändel durchdrangen selbst den allgegenwärtigen Verkehrslärm. An den voll beladenden Ständen wurden Schuhe und Klamotten zu unfassbar günstigen Preisen angeboten.
Wir erkundeten ein letztes Mal die nähere Umgebung .Hier gab es wieder viel bröckelnden Putz und bröseligen Tuffstein, kaputte Scheiben, halb eingestürzte Gebäude schiefe Balkone mit rostigen Geländern und jede Menge Streetart und Reviermarkierungen.
Schwer zu begreifen, dass eine solche Metropole in der Gegenwart überhaupt bestehen kann. Alles wirkt anarchistisch chaotisch, man entdeckt als Außenstehender keine wirklichen Strukturen, wie sie unseren Alltag regeln. So kann die Stadt als eine Art Gegenprinzip zu allem, was sich mit dem Begriff Modernität verbindet gelten. 
Viel Zeit blieb uns heute jedoch nicht, denn nun stand endlich das herbeigesehnte Derby in Avellino an.

US Avellino - US Salernitana (Link zum Spiel)

SSC Napoli - Sassuolo  (Link zum Spiel)

FC Turris - ASD Gallipoli (Link zum Spiel)

Fotostrecke Torre del Greco

Insgesamt eine durchaus gelungene Tour in der viele Klischees bestätigt wurden, aber auch neue Erkenntnisse und Einblicke in die neapolitanische Lebensweise gewonnen werden konnten. Eine absolut erschreckend und faszinierende Stadt, welche einen so schnell nicht mehr loslässt. 

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