27.10.13 / Serie A 9.Spieltag / San Paolo / 42 200 Zuschauer
Die Anreise erfolgte mit dem Billigflieger nach Rom und von
dort aus weiter mit dem Zug. Bereits rund um den Bahnhof erlebt man einen
kleinen Kulturschock, zumindest wenn man aus der westfälischen Provinz kommt. Selbst nach italienischen Maßstäben ist Neapel etwas besonders. Die Straßen sind von regem Verkehr beherrscht, jeder
Quadratmeter Bürgersteig und das Überqueren der Fahrbahn geraten zum
Spießrutenlauf. Überall Schwarzmarkt, teilweise auf Decken auf dem Boden oder
kleineren Ständen und Handkarren werden Handtaschen, Kleidung, Schuhe, Handys einfach alles Erdenkliche angeboten. Dazu
eine offene Drogenszene mit Dealern und Konsumenten. Dazwischen finden sich kleinere
und größere Müllhaufen. Hier pulsiert das Leben im Lärm und Gestank der Abgase.
Die Altstadt ist geprägt von schmalen, verwinkelten Gassen. Die
heruntergekommenen Häuser sind mit zahlreichen Kennzeichen der Ultragruppen
bemalt. Vor allem die Mastiffs finden sich im Altstadtviertel wieder. Vor
kleineren Läden und Bars tummeln sich die Einwohner, größere Straßen sind
zweireihig mit Autos zugestellt und einfach überall passt noch ein Motorroller zwischen.
Touristen sieht man kaum, das Wetter mit schwül warmen Temperaturen um 26 Grad
macht das Gewusel nicht grade erträglicher. Es dauert etwas, bis man sich akklimatisiert
hat, aber richtig wohl fühlt man sich dennoch nicht.
Mit der Metro, einem alten überfüllten Regionalzug pilgern am
Vormittag Tausende zum Stadio San Paolo in den Stadtteil Fuorigrotta acht Kilometer
vom Zentrum entfernt. Vom Bahnhof Campi Flegrei ist die beeindruckende
Spielstätte, welche nach dem Apostel Paulus benannt wurde in wenigen Minuten zu
Fuß zu erreichen. Eine Schönheit ist das Oval, welches zuletzt zur WM 1990
baulich verändert wurde mit Sicherheit nicht, aber dennoch kann man sich als
Besucher der magischen Anziehungskraft nicht entziehen.
Zugelassen ist das Stadion aus Sicherheitsgründen für knapp über 60 000 Zuschauer und somit nach dem Giuseppe Meazza Stadion in Mailand und dem Stadio Olimpico in Rom Italiens drittgrößter Fußballtempel. In den 1980ern kamen hier über 100 000 Zuschauer zusammen um den SSC Napoli zu feiern. Nach einigen Jahren in der Unterklassigkeit und finanziellen Problemen ist der beliebte Verein seit 2007 zurück in der Serie A und international erfolgreich. Aber selbst in den schwierigen Zeiten der dritten Liga standen die Fans in den Kurven immer hinter ihrem geliebten Verein und sorgten neben einer fantastischen Stimmung für Rekordzuschauerzahlen.
Eine absolute Besonderheit stellen die beiden gegenüberliegenden Fankurven, Curva A und Curva B dar. Jeweils gefüllt mit rund 10 000 Fans. Das ist nicht nur in Italien einmalig. Die Curva B stellt hierbei den älteren Teil der Fangruppierungen. Führend sind bzw. waren vor allem Fedayn 1979 EAM und die Ultras Napoli von 1972. Die Curva A ist Heimat der legendären Gruppe MASTIFFs 1991. Weitere Ultragruppen sind Brigata Carolina, welche aus dem spanischen Viertel der Stadt stammt und bereits seit 1989 aktiv ist, Vecchi Lions, Teste Matte, Rione Sanita, Bronx um nur ein paar zu nennen.
Eine offene Rivalität zwischen den Gruppen und Kurven gibt es nicht. Zumindest nicht in der Form wie es auch in Italien in anderen Szenen üblich ist. Politischer Extremismus spielt auch keine Rolle. Während des Spiels wird allerdings völlig unabhängig voneinander supportet. Weitere Unterschiede gibt es in der Mentalität und Ausrichtung. Während man vereinfacht dargestellt in der Curva B eher auf Choreographien, Fahnen und melodische Gesänge setzt und sich insgesamt weniger militant gibt, stehen in der Curva A Gruppen, welche eine etwas härtere Linie bevorzugen.
Die Szene von Neapel gehört zu den besten und gefürchtetsten in ganz Italien. Freundschaften gibt es u.a. zu Genua, Catania, Palermo, Messina und Benevento. Zu den Feinden zählen vor allem Juventus Turin, Milan, Roma, Lazio, Verona, Salernitana, Atalanta und Bari.
Das besuchte Spiel gegen Torino war also nicht von einer besonderen Rivalität geprägt, trotzdem gab es einige Hassgesänge und einen Fackelwurf Richtung Gästeblock. Dieser war mit etwa 200 Turinern besetzt, welche zusammengepfercht im unteren Rang hinter dichten Sicherheitsnetzen kaum zu sehen waren.
Beide Kurven waren gut gefüllt, Gruppenfahnen hingen nicht, lediglich in der Curva A wurden kleinere Fahnen in Doppelhaltergröße befestigt auf denen Slogens wie „Ideale Ultras“, „Gehasst und Stolz“, „Ich lebe für dich“ und „Wir sind die Curva A“ standen.
Es gab ein paar Schwenkfahnen und ansonsten nichts fürs Auge. Immer wieder wurde in beiden Kurven etwas Rauch und vereinzelt auch Böller gezündet. Trommeln gab es nicht, dafür aber Megaphone mit denen Versucht wurde die riesigen Fanblöcke etwas zu koordinieren. Manches Mal wurde es auch extrem laut und man konnte das gewaltige Potential der Curva A erahnen. Die Gesänge waren meist eher kurz und von zahlreichen Schlachtrufen dominiert. Gleich zweimal kamen wir in den Genuss eines unfassbar emotionalen, orkanartigen Torjubels jeweils nach einem verwandelten Strafstoß. Aus der anderen Kurve vernahmen wir längere und melodischere Gesänge, bei Bewegung mit Armen und Klatschen konnte eine große Masse animiert werden. Insgesamt hatten wir in Sachen Lautstärke und Kontinuität aber etwas anderes erwartet. Trotzdem war es fantastisch vor allem die Curva A zu beobachten, dabei geriet das Spiel auf dem Rasen zur Nebensache. Selbst die Zuschauer auf der Gegengraden, auf der im Oberrang zahlreiche Fanclubs vertreten sind gingen die Zuschauer richtig mit. Bei brisanten Spielszenen hielt es kaum jemanden auf den verdreckten Plastiksitzen. Eine aus Deutschland völlig unbekannte Art als „normaler“ Zuschauer ein Match zu verfolgen.
Das Stadion bietet keinen Komfort, die Toiletten sind in einem ekeligen Zustand, das Angebot an Speisen und Getränken sehr begrenzt und sonstigen Schnickschnack wie man ihn aus der Bundesliga kennt gibt es nicht. Das modernste sind wohl noch die elektronischen Drehkreuze beim Einlass, aber auch diese funktionieren nicht immer.
Für die unmögliche Anstoßzeit um 12:30 waren immerhin 42 200 Zuschauer anwesend.
Wenn der Schlusspfiff ertönt sollte man sich beeilen zu der Metro zu kommen. Nach Spielende bricht rund um den Bahnhof die Hölle los. Starke Polizeikräfte sollen für einen halbwegs geordneten Abtransport der Zuschauer in die Stadt sorgen und Schwarzfahren unterbinden. Dies hindert dutzende Jugendliche aber nicht daran, die Zäune zu den Gleisen zu übersteigen und sich in die übervollen Wagons zu schmuggeln.
Abgerundet wurde unser Wochenendtrip am Samstag noch von der Zweitligapartie Juve Stabia - Empoli und am Sonntagabend in Rom mit Lazio - Cagliari .
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