23.4.16 / Serie B 38.Spieltag / San Nicola / 20 295 Zuschauer
Vormittgas bestiegen wir den angenehm leeren Regionalzug in Brindisi.
Nach eineinhalb stündiger Fahrt empfing uns Bari mit leichtem Regen und dem
unvermeidlichen Gewusel auf der Piazza Aldo Moro. Ganz entgegen der üblichen
Gewohnheit kauften wir uns am Schalter der öffentlichen Verkehrsbetriebe
Tickets für den Bus zum Stadion. Dies war die richtige Entscheidung. Der
klapprige Bus, welcher wenig später um die Ecke bog, hatte zusätzlich zum Fahrer
noch drei Kontrolleure an Bord. Diese positionierten sich an der Vordertür und
kontrollierten jeden Menschen, der mit der Linie 20 fahren wollte. Da half auch
alles diskutieren und betteln nichts. Die Polizei war auch mit einem
Mannschaftswagen vertreten und machte sich hinter verspiegelten Sonnenbrillen
über die Tifosi lustig, welche zurück zum Ticketschalter geschickt wurden. Fahrscheine
kann man im Bus grundsätzlich nicht kaufen.
Das Gefährt füllte sich zusehends und irgendwann war dann endlich
Abfahrt. Auf der Kreuzung wurde nochmal angehalten, um einen knapp 50jährigen
Ultra zusteigen zu lassen. Begleitet wurde die unterhaltsame Fahrt von zwei
Polizeifahrzeugen. Nach der sechsten Haltestelle stiegen die Herren
Kontrolleure aus und von nun an wurden weitere Zusteigende auch nicht mehr
kontrolliert. Trotzt dichtem Gedränge herrschte eine fröhliche und unbeschwerte
Stimmung. Zwischendurch wurde auch mal ein Kurvenhit angestimmt. Das Stadion
des heiligen Sankt Nikolaus liegt weit außerhalb südwestlich vom Zentrum und
ist nur mit der Buslinie 20 zu erreichen. Nach einer knappen halben Stunde
wurde der Busfahrer zum Halten auf einer Art Autobahnzubringer genötigt. Nun
stiegen alle Fahrgäste mitten in der Pampa aus und überquerten die
Schnellstraße. Auf der gegenüberliegenden Seite saßen ein paar farbige
Prostituierte auf abgewetzten Plastikstühlen und warteten auf vorbeifahrende
Freier.
Ein paar Meter weiter kam das Stadion in Sicht, welches
einem gestrandeten Ufo nicht unähnlich sieht. Außer ein paar Wohnblocks im
Plattenstil in Sichtweite befindet sich rein gar nichts im näheren Umkreis. Auf
einem riesigen Parkplatz gab es eine Handvoll Essens- und Getränkestände. Die
Ticketbuden schließen allesamt drei Stunden vor dem Anpfiff, wer also ohne
Biglietti hier raus fährt hat Pech gehabt und kann den langen Weg zurück in die
Stadt antreten. Irgendwo am Hauptbahnhof gibt es einen sogenannten Bari Point
an welchem es Tickets zu kaufen gibt. Dieser hat manchmal auch bis zum Anpfiff
geöffnet.
Den Sinn dahinter versuche ich mittlerweile gar nicht mehr
zu verstehen. Da diese Problematik in Bari im Vorfeld schon bekannt war buchte
ich die Tickets im Internet. Nach einer wirklich schrecklichen Pommes und zwei
kalten Peroni ging es endlich rein in die geniale Schüssel. Das Stadio San
Nicola ist nach dem Schutzpatron Baris benannt und für die
Fußballweltmeisterschaft 1990 erbaut worden. Es fasst knapp über 58 000 Zuschauer.
Der obere Rang besteht aus 26 voneinander getrennten Teilen. Insgesamt ist diese
einzigartige Spielstätte in keinem besonders guten Zustand. Teile der aufwendigen
Dachkonstruktion sind durch ein Unwetter stark beschädigt worden. Eigentümer
ist die Stadt und die kann die veranschlagten 100 Millionen Euro für die nötige
Renovierung einfach nicht locker machen. Die Leichtathletikanlage wurde seit
Eröffnung übrigens nur ein einziges Mal genutzt…
Bevor hier eines der letzten Heimspiele der Saison angepfiffen
wurde gedachten Fans und Spieler dem kurz zuvor von einem Regionalzug tödlich
verletzten Tifoso der Banda Bassotti Bari, welcher nur 28 Jahre alt wurde. Dazu
versammelten sich im unteren Teil der Kurve etwa 200 Bekannte, Freunde und
Verwandte und nahmen mit herzförmigen Luftballons in weiß und rot Abschied von „Wolf“
wie der verstorbene von allen genannt wurde. Die Familie stand dazu vor einem
Banner im Innenraum. Passend gab es dazu noch ein mehrteiliges Spruchband von
den Seguaci della Nord. Einige in der Curva Nord trugen weiße T-Shirts mit
einem aufgedruckten Foto von „Wolf“.
Unten auf der Laufbahn liegt seit einiger Zeit ein riesiges
Banner mit einer Botschaft an die Kurve ausgebreitet: „Erhebt eure Stimme –
gemeinsam für das Wohl der Curva Nord und Bari!“. Das lange Teil ist passend
zum Verlauf der Laufbahn gekrümmt und im Prinzip nur von der Kurve aus zu
lesen.
Die Seguaci della Nord (Anhänger der Nordkurve) waren
ursprünglich ein Zusammenschluss bzw. eine Art Dachverband für die Ultras. Im
Sommer 2014 hing zum ersten Mal ihre große Zaunfahne. Mittlerweile bezeichnen
sich die Seguaci aber als Gruppe mit eigener Richtung und Mentalität. Die
Tessera del Tifoso wird akzeptiert um Auswärtsspiele besuchen zu können. Momentan
stellt diese Gruppe unübersehbar das Herz der Kurve. Mit Vorsängern und
Trommlern sowie einem fortwährenden Fahnenmeer wird der Ton angegeben. Daneben
gibt es aber noch zahlreiche Gruppen in der Curva Nord, z.B. Bulldog Bari (seit
1991), welche ebenfalls mit einer großen Zaunfahne präsent sind. Viele kleinere
Gruppen zeigen sich mit Schwenkfahnen. Während bei diesem Spiel um die Playoff
Plätze der Serie B der Unterrang der Nordkurve so gut wie leer blieb füllte
sich der Oberrang ganz ordentlich. Die 20 000 Zuschauer ließen das riesige
Stadion ansonsten ziemlich verwaist wirken.
Die Freundschaft zu den Ultras der Salernitana wurde mittels
einer kleinen Fahne der „Cilento-Ultras“ sichtbar. Außerdem hing natürlich noch
die obligatorische Fahne für die Stadionverbotler.
Der überdimensionierte Gästeblock war mit grob geschätzt 100
Tifosi aus dem über 700 Kilometer entfernten Modena besetzt. Ein paar kleinere
Fahnen schafften es an die Balustrade.
Ein besonders schöner Moment ereignete sich während der
grandiosen Vereinshymne als die Kurve in ein Meer aus Fahnen und Schals
verwandelt wurde. Vereinzelt wurde dazu roter Rauch und Bengalos gezündet. Alle
sangen die Hymne voller Inbrunst und Überzeugung mit. „Bari grande amore- Bari
unica e sola- Bari nel nostro cuore- Non ti lasceremo…da sola…Facci sognare
ancora – Facci gridare ancora…Bari nel nostro cuore…Non ti lasceremo da sola…mai!“
Erinnerte mich etwas an das legendäre „Roma Roma Roma“ bei AS im Olimpico. Das
war schon was Großes. Auch der folgende Support konnte sich hören lassen.
Fantastische Melodien und unterlegt von grandiose Trommelrhythmen. Immer wieder
wurde eine beachtliche Lautstärke erreicht, auch wenn die akustischen
Voraussetzungen nicht die besten sind. Eine zweistellige Zahl von Vorsängern,
ein paar davon mit Megaphon schafften es die Kurve mitzureißen. Besonders
hervorheben möchte ich an dieser Stelle die Klatscheinlagen, welche immer
wieder eingebaut wurden. Die vier Trommler konnten auch richtig was und performten
noch lange nach Abpfiff weiter.
Ein Blick in die ersten Reihen offenbarte das Potenzial der
Ultraszene. Hier waren wirklich viele ältere Semester zugange. Besonders ein
etwa 65jähriger im Feinrippunterhemd viel mir dabei ins Auge, der sich ganz
vorne voll mit einbrachte. Über die gesamte Spielzeit wurden massig
Schwenkfahnen eingesetzt. In der zweiten Halbzeit gab es noch ein relativ neues
Lied auf die Ohren, welches zwar auch auf dem Stiefel mittlerweile von einigen
Szenen gesungen wird, aber hier seine volle Wirkung entfalten konnte und noch
lange im Ohr blieb. (Videoausschnitt Cori Curva Nord) Dabei wurde eine wirklich utopische Lautstärke erreicht.
Auch nach dem heftig umjubelten Ausgleichstreffer sieben Minuten vor Schluss
wurde eine dieser absolut hinreißenden Melodien herausgeschmettert. Und das mit
einer Leichtigkeit und Hingabe, welche hierzulande einfach nicht zustande
kommen will.
Der FC Bari konnte sich am Ende leider nicht gegen Modena
durchsetzen und ließ zwei wichtige Punkte im Kampf um die Playoffplätze zum
Aufstieg in die Serie A liegen.
Für uns ging es dennoch vollends zufrieden raus aus der
Schüssel. Bevor wir uns an die Bushaltestelle hockten gönnten wir uns noch ein
eiskaltes Peroni. Auf die Linie 20 mussten wir dann eine gefühlte Ewigkeit
zusammen mit einem gemischten Publikum warten. Mit rund vierzigminütiger
Verspätung trudelte das Gefährt endlich ein und etwa 70 Personen stopften sich
mit ausgefahrenen Ellenbogen hinein. Die Rückfahrt in die Stadt verlief dann
doch merklich ausgelassener als die Hinfahrt. Es wurde gesungen, getrunken, gekifft
und gegen die Deckenverkleidung geschlagen. Gegen 18:30 Uhr erreichten wir dann
Bari Centrale und rafften uns nach einem kurzen Check der Zugfahrpläne nochmal
auf zum Hafen und in die wunderschöne Altstadt. Auch ein heftiger Wolkenbruch
konnte unsere gute Laune nicht mindern.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen