20.9.15 / Ligue 1 6.Spieltag / Geoffroy Guichard / 28 850 Zuschauer
Saint-Étienne ist sicherlich jedem Fußballfan ein Begriff.
Auch auch wenn die 171 000 – Einwohner Stadt südwestlich von Lyon weder
touristisch noch sonst irgendwie eine größere Rolle spielt, so gilt sie doch
als die Fußballstadt Frankreichs. Der örtliche Verein Association Sportive de
Saint-Étienne Loire ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten
Fußballvereine Frankreichs und besitzt eine große Anhängerschaft im ganzen
Land. Auch für Groundhopper ist Saint-Étienne nach wie vor ein beliebtes
Reiseziel.
Auf den Tribünen des Stade Geoffroy-Guichard sind seit
Anfang der 1990er Jahre zwei legändere Ultragruppen aktiv, welche weit über die
Landesgrenzen respektiert werden und für die Bewegung in Europa maßgeblich
sind. Auf der Nordtribüne geben die Magic Fans den Ton an, auf der Südtribüne sind
es die Green Angels. Beide Gruppen verfügten zwischenzeitlich über vierstellige
Mitgliederzahlen, haben einen individuellen Stil und agieren bei Heimspielen
bis auf gemeinsame Wechselgesänge völlig unabhängig voneinander. Bei
Auswärtsspielen wird jedoch gemeinsam an einem Strang gezogen.
Hauptfeind der Stephanois, wie sich die Einwohner
Saint-Étiennes nennen, ist unangefochten Olympique aus dem ca. 60 km nördlich
gelegenen Lyon. Aber auch Duelle gegen Marseille und Paris Saint Germain gelten
als brisant. Desweiteren gibt es Rivalitäten mit Montpellier, Lille und Nantes
nicht zuletzt aufgrund von gezogenem Material. Zuletzt gelang es der Curva Sud
Lyon im Jahr 2013, in Überzahl, einen Großteil der Zaunfahne der Magic Fans zu
erbeuten. Danach hing lange Zeit keine Große Fahne der Gruppe vorm Kop Nord.
Seit nunmehr drei Jahren pflegen die Magic Fans eine
offizielle Freundschaft zum Commando Canstatt. Innerhalb Frankreichs existiert
eine intensiv gelebte Verbindung mit den Ultramarines Bordeaux. In Italien gibt
es nach wie vor eine Freundschaft zur Gruppe Brescia 1911, einer
Ultraabspaltung von der Curva Nord. Die Green Angels wiederum haben eine
offizielle Freundschaft zur Gruppe Super 3 von Aris Saloniki.
Ultras und aktive Fans haben es nicht leicht in Frankreich
und das nicht erst im Angesicht der EM 2016. Auswärtsfahrverbote, Materialverbote,
Stadion- und Betretungsverbote bis hin zum staatlichen Verbot ganzer Gruppen
(Beispiele diverse Gruppen der Virage Auteuil Paris, Brigade Sud Nizza). Um
einem solchen Gruppenverbot vorzubeugen lösten sich die Green Angels 2014 als
eingetragener Verein auf. Trotzt der Selbstauflösung konnten mit Hilfe des
Vereins alle Aktivitäten zunächst weiter geführt werden. Doch es dauerte nicht
lange bis es zu Problemen und Zerwürfnissen kam. Gruppenfahnen und Material
musste teilweise sogar bei Heimspielen geschmuggelt werden. Nach einer
Pyroaktion versuchte der Verein den GA endgültig den Garaus zu machen.
Megaphone und Trommeln blieben ebenso wie sämtliches Material der Gruppe
verboten. Mittlerweile haben die GA
wieder ihr Material und die Beschallungsanlage zurück und können wieder als
Gruppe im Stadion präsent sein. Auswärts und daheim tritt man nur noch mit
mehreren kleinen Gruppenfahnen auf.
Letzte Saison zum Auswärtsspiel bei Ajaccio durfte niemand
mit einer Meldeadresse aus Saint-Étienne die Insel Korsika betreten. Das
generelle Verbot bestand für 48 Stunden und betraf logischerweise nicht nur
Fußballfans, sondern auch Touristen. Viele dieser Repressalien sind mit
geltenden Gesetzen natürlich nicht vereinbar, aber ähnlich wie hierzulande
haben Ultras in Frankreich keine große Lobby und werden vom Staat und dem
Ligaverband ohne Rücksicht auf Verluste kriminalisiert. Nach einer eher
harmlosen Pyroaktion beim Spiel der ASSE gegen Monaco wurde der Verein mit 20
000 Euro zur Kasse gebeten. Neben extrem hohen Geldstrafen hagelt es natürlich
auch mehrjährige Stadionverbote. Ein Dialog zwischen aktiven Fans und
Ligaverband gibt es nicht.
Die Magic Fans trafen sich lange vor Spielbeginn in ihrem
Lokal und machten sich wie üblich im lockeren Corteo singend auf den langen Weg
zum Stadion. Bereits jetzt hatten wir ein fettes Grinsen im Gesicht- es ist
einfach wunderschön so etwas zu sehen: Knapp 300 Ultras mit zusammengerollten
Schwenkfahnen in der Mitte, im Pulk, untermalt von ein paar La Bombas, singend
um die Ecke biegen zu sehen.
Die imposanten Hintertortribünen im Stade Geoffroy-Guichard
füllten sich bis eine halbe Stunde vor Spielbeginn komplett. Der Gästeblock in
der Ecke blieb dagegen leider komplett leer. Verband und Polizei ließen keine
Gäste aus Nantes anreisen.
Kop Nord startete mit einer fetten Schalparade, anschließend
wurden die grünweißen Fanutensilien von vielen Tausend im Takt gewedelt. Bei
dem begleitenden Lied wurde bereits ein erstes großes Ausrufezeichen gesetzt.
Gegenüber gab es eine großangelegte Zettelchoreo in grün und weiß mit den
Buchstaben A-S-S-E in einem Kreuz zu
sehen. Darüber prangte der Spruch: „Nach all den Jahren immer noch legendär!“
Nach wenigen Minuten wurden die Zettel geschwenkt, so ergab sich das
Choreomotiv noch einmal in animierter Form.
Was nun folgte war ein akustischer Hochgenuss. Die
Nordtribüne der Magic Fans lief zu Höchstform auf. Der positive Spielverlauf
tat sein übriges und phasenweise stieg das gesamte Stadion mit ein. Wir wurden
Zeuge zweier abartiger Torjubel, bei denen die Leute einfach so übereinander
purzelten. Es gab wirklich viel Bewegung, melodische, sehr schnell vorgetragene
Lieder mit eher kurzen Textpassagen, Pogos, und üppiger Materialeinsatz. Angetrieben
von vier Trommeln und drei Vorsängern konnte ein Großteil dieser riesigen
Tribüne erreicht werden. Das Ganze wirkte überhaupt nicht aufgesetzt und
verkrampft, sondern einfach locker und authentisch. Das machte schon beim
bloßen zusehen Spaß und wirkte durchaus inspirierend.
Die Spieler des FC Nantes wurden bei Freistößen und
Eckbällen in ohrenbetäubender Lautstärke ausgepfiffen. Absolut beeindruckend
waren auch die Wechselgesänge mit der Südtribüne, welche ansonsten nicht ganz
so überzeugen konnte wie die Nordseite. Hier waren auch durchgehend ein paar
Hundert Leute mit verschiedenen Schwenkern rund um die Green Angels in
Bewegung, aber nicht in dieser Größenordnung. Bis auf die Wechselgesänge zog
man ein gänzlich anderes Programm durch.
Zum Start in Halbzeit zwei drehte sich die ganze Nordtribüne
geschlossen um und hüpfte mehrere Minuten eingehakt mit dem Rücken zum
Spielfeld. Noch lange nach Abpfiff beschäftigte uns das Erlebte und so hatten
wir genug Input für die zwölfstündige Rückfahrt. Auch wenn es kein besonderes
Spiel war und es keinen überaus spektakulären Tifo gab, hatten wir eine Menge
über das Potential und die Ausdrucksweise der Magic Fans gelernt. Morgens gegen
8 Uhr erreichten wir erschöpft, aber zufrieden die Heimatstadt. Ein Besuch
bei den Stephanois kann dringend
empfohlen werden! Diese Eindrücke gibt es nicht im Internet!
20 Jahre Magic Fans Mai 2011: AS Saint Etienne - PSG
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