Dienstag, 6. Oktober 2015

AS Saint-Étienne - FC Nantes

AS Saint-Étienne - FC Nantes 2:0
20.9.15 / Ligue 1 6.Spieltag / Geoffroy Guichard / 28 850 Zuschauer

Saint-Étienne ist sicherlich jedem Fußballfan ein Begriff. Auch auch wenn die 171 000 – Einwohner Stadt südwestlich von Lyon weder touristisch noch sonst irgendwie eine größere Rolle spielt, so gilt sie doch als die Fußballstadt Frankreichs. Der örtliche Verein Association Sportive de Saint-Étienne Loire ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten Fußballvereine Frankreichs und besitzt eine große Anhängerschaft im ganzen Land. Auch für Groundhopper ist Saint-Étienne nach wie vor ein beliebtes Reiseziel.
Auf den Tribünen des Stade Geoffroy-Guichard sind seit Anfang der 1990er Jahre zwei legändere Ultragruppen aktiv, welche weit über die Landesgrenzen respektiert werden und für die Bewegung in Europa maßgeblich sind. Auf der Nordtribüne geben die Magic Fans den Ton an, auf der Südtribüne sind es die Green Angels. Beide Gruppen verfügten zwischenzeitlich über vierstellige Mitgliederzahlen, haben einen individuellen Stil und agieren bei Heimspielen bis auf gemeinsame Wechselgesänge völlig unabhängig voneinander. Bei Auswärtsspielen wird jedoch gemeinsam an einem Strang gezogen.
Hauptfeind der Stephanois, wie sich die Einwohner Saint-Étiennes nennen, ist unangefochten Olympique aus dem ca. 60 km nördlich gelegenen Lyon. Aber auch Duelle gegen Marseille und Paris Saint Germain gelten als brisant. Desweiteren gibt es Rivalitäten mit Montpellier, Lille und Nantes nicht zuletzt aufgrund von gezogenem Material. Zuletzt gelang es der Curva Sud Lyon im Jahr 2013, in Überzahl, einen Großteil der Zaunfahne der Magic Fans zu erbeuten. Danach hing lange Zeit keine Große Fahne der Gruppe vorm Kop Nord.
Seit nunmehr drei Jahren pflegen die Magic Fans eine offizielle Freundschaft zum Commando Canstatt. Innerhalb Frankreichs existiert eine intensiv gelebte Verbindung mit den Ultramarines Bordeaux. In Italien gibt es nach wie vor eine Freundschaft zur Gruppe Brescia 1911, einer Ultraabspaltung von der Curva Nord. Die Green Angels wiederum haben eine offizielle Freundschaft zur Gruppe Super 3 von Aris Saloniki.
Ultras und aktive Fans haben es nicht leicht in Frankreich und das nicht erst im Angesicht der EM 2016. Auswärtsfahrverbote, Materialverbote, Stadion- und Betretungsverbote bis hin zum staatlichen Verbot ganzer Gruppen (Beispiele diverse Gruppen der Virage Auteuil Paris, Brigade Sud Nizza). Um einem solchen Gruppenverbot vorzubeugen lösten sich die Green Angels 2014 als eingetragener Verein auf. Trotzt der Selbstauflösung konnten mit Hilfe des Vereins alle Aktivitäten zunächst weiter geführt werden. Doch es dauerte nicht lange bis es zu Problemen und Zerwürfnissen kam. Gruppenfahnen und Material musste teilweise sogar bei Heimspielen geschmuggelt werden. Nach einer Pyroaktion versuchte der Verein den GA endgültig den Garaus zu machen. Megaphone und Trommeln blieben ebenso wie sämtliches Material der Gruppe verboten.  Mittlerweile haben die GA wieder ihr Material und die Beschallungsanlage zurück und können wieder als Gruppe im Stadion präsent sein. Auswärts und daheim tritt man nur noch mit mehreren kleinen Gruppenfahnen auf.
Letzte Saison zum Auswärtsspiel bei Ajaccio durfte niemand mit einer Meldeadresse aus Saint-Étienne die Insel Korsika betreten. Das generelle Verbot bestand für 48 Stunden und betraf logischerweise nicht nur Fußballfans, sondern auch Touristen. Viele dieser Repressalien sind mit geltenden Gesetzen natürlich nicht vereinbar, aber ähnlich wie hierzulande haben Ultras in Frankreich keine große Lobby und werden vom Staat und dem Ligaverband ohne Rücksicht auf Verluste kriminalisiert. Nach einer eher harmlosen Pyroaktion beim Spiel der ASSE gegen Monaco wurde der Verein mit 20 000 Euro zur Kasse gebeten. Neben extrem hohen Geldstrafen hagelt es natürlich auch mehrjährige Stadionverbote. Ein Dialog zwischen aktiven Fans und Ligaverband gibt es nicht.

Die Magic Fans trafen sich lange vor Spielbeginn in ihrem Lokal und machten sich wie üblich im lockeren Corteo singend auf den langen Weg zum Stadion. Bereits jetzt hatten wir ein fettes Grinsen im Gesicht- es ist einfach wunderschön so etwas zu sehen: Knapp 300 Ultras mit zusammengerollten Schwenkfahnen in der Mitte, im Pulk, untermalt von ein paar La Bombas, singend um die Ecke biegen zu sehen.
Die imposanten Hintertortribünen im Stade Geoffroy-Guichard füllten sich bis eine halbe Stunde vor Spielbeginn komplett. Der Gästeblock in der Ecke blieb dagegen leider komplett leer. Verband und Polizei ließen keine Gäste aus Nantes anreisen.
Kop Nord startete mit einer fetten Schalparade, anschließend wurden die grünweißen Fanutensilien von vielen Tausend im Takt gewedelt. Bei dem begleitenden Lied wurde bereits ein erstes großes Ausrufezeichen gesetzt. Gegenüber gab es eine großangelegte Zettelchoreo in grün und weiß mit den Buchstaben A-S-S-E  in einem Kreuz zu sehen. Darüber prangte der Spruch: „Nach all den Jahren immer noch legendär!“ Nach wenigen Minuten wurden die Zettel geschwenkt, so ergab sich das Choreomotiv noch einmal in animierter Form.
Was nun folgte war ein akustischer Hochgenuss. Die Nordtribüne der Magic Fans lief zu Höchstform auf. Der positive Spielverlauf tat sein übriges und phasenweise stieg das gesamte Stadion mit ein. Wir wurden Zeuge zweier abartiger Torjubel, bei denen die Leute einfach so übereinander purzelten. Es gab wirklich viel Bewegung, melodische, sehr schnell vorgetragene Lieder mit eher kurzen Textpassagen, Pogos, und üppiger Materialeinsatz. Angetrieben von vier Trommeln und drei Vorsängern konnte ein Großteil dieser riesigen Tribüne erreicht werden. Das Ganze wirkte überhaupt nicht aufgesetzt und verkrampft, sondern einfach locker und authentisch. Das machte schon beim bloßen zusehen Spaß und wirkte durchaus inspirierend.
Die Spieler des FC Nantes wurden bei Freistößen und Eckbällen in ohrenbetäubender Lautstärke ausgepfiffen. Absolut beeindruckend waren auch die Wechselgesänge mit der Südtribüne, welche ansonsten nicht ganz so überzeugen konnte wie die Nordseite. Hier waren auch durchgehend ein paar Hundert Leute mit verschiedenen Schwenkern rund um die Green Angels in Bewegung, aber nicht in dieser Größenordnung. Bis auf die Wechselgesänge zog man ein gänzlich anderes Programm durch.
Zum Start in Halbzeit zwei drehte sich die ganze Nordtribüne geschlossen um und hüpfte mehrere Minuten eingehakt mit dem Rücken zum Spielfeld. Noch lange nach Abpfiff beschäftigte uns das Erlebte und so hatten wir genug Input für die zwölfstündige Rückfahrt. Auch wenn es kein besonderes Spiel war und es keinen überaus spektakulären Tifo gab, hatten wir eine Menge über das Potential und die Ausdrucksweise der Magic Fans gelernt. Morgens gegen 8 Uhr erreichten wir erschöpft, aber zufrieden die Heimatstadt. Ein Besuch bei den Stephanois kann dringend empfohlen werden! Diese Eindrücke gibt es nicht im Internet!


20 Jahre Magic Fans Mai 2011: AS Saint Etienne - PSG




































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